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Anwalt nennt Vorgehen in Weimar „Irrsinn” und „rechtswidrig”

Durchsuchungen, beschlagnahmte Datenträger: Der Nordkurier sprach mit dem Anwalt von Richter Christian Dettmar. Dieser verbot die Corona-Maßnahmen an zwei Schulen, jetzt wird wegen Rechtsbeugung ermittelt. Simone Schamann 27.04.2021 18:55 Uhr

Im Amstgericht Weimar wurde das Arbeitszimmer von Richter Christian Dettmar von Ermittlern durchsucht (Symbolfoto).
Im Amstgericht Weimar wurde das Arbeitszimmer von Richter Christian Dettmar von Ermittlern durchsucht (Symbolfoto). dpa/NK-Combo/Symbolfoto

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Rechtsanwalt Dr. Gerhard Strate aus Hamburg vertritt Amtsrichter Christian Dettmar aus Weimar, bei dem es am Montag polizeiliche Durchsuchungen gegeben hat. Datenträger wurden beschlagnahmt, gegen den Juristen steht der Verdacht der Rechtsbeugung im Raum.

Dettmar hatte am 08. April mit einem richterlichen Beschluss, in dem er an zwei Weimarer Schulen Masken- und Testpflicht, Abstandsregeln und Homeschooling untersagte, bundesweit für Aufsehen gesorgt. Der Nordkurier sprach seinem Anwalt darüber, weshalb genau ermittelt wird und wie die Situation juristisch einzuordnen ist.

Gegen Richter Christian Dettmar besteht der Anfangsverdacht der Rechtsbeugung. Was bedeutet das genau?

„Die Rechtsbeugung soll darin bestanden haben, dass Herr Dettmar sich eine Kompetenz angemaßt habe, die ihm eigentlich nicht zukommt. Das Familiengericht hätte so eine Anordnung gegenüber der Schulleitung, dass keine Masken getragen werden sollen, nicht treffen dürfen. Das sei allein Sache des Verwaltungsgerichts. Das ist der Vorwurf.“

Und das erfüllt den Tatbestand der Rechtsbeugung?

„Ja, das soll Rechtsbeugung sein. Aber dass Richter mal etwas falsch entscheiden – wie das Verwaltungsgericht Erfurt hinsichtlich der Entscheidung des Familiengerichts in Weimar meint – ist ja noch lange keine Sache der Rechtsbeugung. Das ist Quatsch. Ich habe schon einige Fälle von Rechtsbeugung vertreten. Sie liegt vor, wenn ein Richter gegen zwingende Rechtsvorschriften verstößt. Wenn er einen einen klaren Gesetzeswortlaut eindeutig ignoriert. Nur dann kommt der Tatbestand der Rechtsbeugung überhaupt in Betracht.“

Mehr lesen: Polizeieinsatz bei Weimarer Richter

Gibt es weitere Voraussetzungen?

„Der Betroffene muss bewusst das Recht verletzen. Es muss ein Vorsatz bestehen. Das kann man hier, wenn man sich die unendlich sorgfältige Begründung des Beschlusses vom Amtsgericht Weimar anschaut, aber nicht mal im Ansatz sagen. Die Begründung ist wirklich mit sehr viel Vorbedacht und sehr viel Sorgfalt – er hat ja drei Sachverständige gehört – verfasst worden. Da ist nicht mal dran zu denken, dass er den Vorsatz gehabt hat, das Recht zu verletzen.“

Aber es besteht ja der Vorwurf, dass er diese Sache gar nicht entscheiden durfte.

„Die Vorschrift auf die er sich im Beschluss gestützt hat, ist ja §1666 Abs. 4 BGB. Diese gebietet nicht mal im Ansatz die Interpretation, die der Staatsanwaltschaft in Erfurt bei der Beantragung der Durchsuchungsanordnung vor Augen stand. Es ist so, dass ein Familienrichter nach §1666 Abs. 1 aus Gründen der Fürsorge für das Wohl des Kindes bestimmte Anordnungen treffen kann. Adressaten sind hier primär natürliche Personen im Umfeld des Kindes. In Absatz 4 wird diese Befugnis noch auf „Dritte” ausgedehnt. Da ist die Frage: Wer sind Dritte? Sind das nur natürliche Personen oder sind das möglicherweise auch öffentliche Einrichtungen wie eine Schule?“

Ist das eine besonders spitzfindige Fragestellung?

„Der Gesetzeswortlaut gibt für die Interpretation, dass nur natürliche Personen gemeint sind, nichts her. Und deshalb ist Richter Dettmars Überlegung, dass er als Familienrichter in Kindschaftssachen durchaus auch ermächtigt ist, eine derartige Anordnung zu treffen, absolut vertretbar. Weil es dem Gesetzeswortlaut nicht widerspricht.“

Es wurden ja auch Gerüchte laut, dass Richter Dettmar der Fall gezielt zugeführt wurde.

„Das halte ich für Nonsense.“

Ist dieser Vorwurf denn auch Gegenstand der Ermittlungen?

„So weit ich weiß, nein. Ich habe Einsicht in die Ermittlungsakten beantragt, aber noch nicht vorliegen. Ich habe auch Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung beim Amtsgericht Erfurt eingelegt.“

Welchen Hintergrund haben Ihrer Meinung nach die Beschlagnahmung von Handy und Laptop?

„Es kann ja nur darum gehen, zu erfahren, was Herr Dettmar für Kontakte hat. Welche Art von Kontakten die Staatsanwaltschaft auf den Datenträgern vermutet, was da von Interesse sein sollte, kann ich mir beim besten Willen nicht erklären.“

Würden Sie sagen, dass die Durchsuchung und die Ermittlungen ein Rechtsbruch sind?

„Es auf jeden Fall ein skandalträchtiges Vorgehen. Es ist ein unmittelbarer Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit. Der Richter hat lediglich eine andere Rechtsposition vertreten als das Verwaltungsgericht wenig später eingenommen hat – das macht ihn aber nicht zum Rechtsbeuger. Das anzunehmen, ist schon ein gewisser Irrsinn. Der zu Corona-Zeiten aber immer mehr um sich zu greifen scheint.“

Können Sie nachvollziehen, dass es Beobachter gibt, die die Ermittlungen gegen den maßnahmenkritischen Richter als Einschüchterungsversuch werten?

„Das Vorgehen läuft zumindest darauf hinaus. Ich würde nicht sagen, dass das gezielt die Absicht des leitenden Oberstaatsanwalts in Erfurt ist. Aber es läuft darauf hinaus, dass es diese Wirkung entfaltet.“

Wie geht es weiter, wenn die beschlagnahmten Datenträger ausgewertet wurden?

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Verfahren alsbald eingestellt wird. Das ‘Tatwerkzeug’ ist der Beschluss selbst und die beschlagnahmten Datenträger haben für die Entstehung dieses Beschlusses keinerlei Bedeutung. Insofern ist die Aktion eine reine Ausforschung, welche persönlichen Hintergründe der Richter hat. Und das ist rechtswidrig.“

https://www.nordkurier.de/politik-und-wirtschaft/anwalt-nennt-vorgehen-in-weimar-irrsinn-und-rechtswidrig-2743309804.html