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Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht hat eine bundesweit bedeutsame Entscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht gefällt. Demnach ist das bisherige Vorgehen der Gesundheitsämter rechtswidrig, von Pflegern und Krankenschwestern Impfnachweise zu fordern und Bußgelder anzudrohen. FOCUS Online erklärt, was die Richter bemängelten und welche Folgen dieser Beschluss nun hat.

Update!

hier auch der Beschluss des niedersächsischen Verwaltungsgerichtes

http://www.dbovg.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?printview=true&feed=bsnd-r-vwg&showdoccase=1&paramfromHL=true&doc.id=MWRE220005934

Inhaltsverzeichnis

Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht hat eine weitreichende Entscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht getroffen. Dabei erklärte es die bisherige Praxis der Gesundheitsämter für „rechtswidrig“, von Pflegern und Krankenschwestern Impfnachweise zu fordern und ihnen Bußgelder anzudrohen. Der noch unveröffentlichte Beschluss (Az.: 1 B 28/22) erging am 13. Juni 2022 und liegt FOCUS Online exklusiv vor.

Mit seiner Entscheidung gab das Gericht einer Zahnarzthelferin aus Flensburg recht, die sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen will. Das zuständige Gesundheitsamt hatte die Frau mit Bescheid vom 28. April 2022 aufgefordert, bis Anfang Juni einen Impf- oder Genesenennachweis bzw. ein ärztliches Zeugnis darüber vorzulegen, dass sie aus medizinischen Gründen nicht gegen Corona geimpft werden darf.

Gericht: Bescheide der Gesundheitsämter „rechtswidrig“

Sollte sie der Aufforderung nicht nachkommen, könne sie mit „einem Bußgeld von bis zu 2500 Euro“ bestraft werden. Weiterhin sei beabsichtigt, der Frau das Betreten sowie die berufliche Tätigkeit in der Zahnarztpraxis zu untersagen.

Spannend, aber gerade keine Zeit?

In dem Schreiben ordnete das Gesundheitsamt die „sofortige Vollziehung“ des Verwaltungsaktes an. Das bedeutet, dass ein Widerspruch und eine Klage gegen den Bescheid keine „aufschiebende Wirkung“ hätten. Mit dieser Klausel wollen die Behörden erreichen, dass das Verfahren beschleunigt wird und nicht durch langwierige Rechtsbehelfsverfahren ins Stocken gerät.

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Ungeimpfte Zahnarzthelferin aus Flensburg hatte Erfolg

Die Zahnarzthelferin legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und suchte am 24. Mai 2022 um einstweiligen Rechtsschutz nach. Darin beantragte sie, dass ihr Widerspruch – anders als vom Gesundheitsamt beabsichtigt – aufschiebende Wirkung hat.

Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht gab ihr nun recht: „Der zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat in der Sache Erfolg“. Mit dem Beschluss werde die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs „wiederhergestellt“. Zur Begründung verwies die 1. Kammer auf eine „umfassende Interessenabwägung“. Diese habe ergeben, dass das „private Aufschubinteresse“ der Zahnarzthelferin höher einzustufen sei als das „öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes“.

Die detaillierte Begründung lässt aufhorchen: „Die in dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Anordnung zur Vorlage eines Impfnachweises … ist offensichtlich rechtswidrig“, so das Gericht. Denn das Gesundheitsamt hätte die Einsicht in die Impfstatus-Unterlagen „nicht in der Form eines Verwaltungsaktes“ anordnen dürfen. Zitat aus dem Beschluss: „Die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes setzt neben der inhaltlichen Rechtmäßigkeit insbesondere voraus, dass die Behörde in der Handlungsform eines Verwaltungsakts vorgehen darf.“

Impfpflicht für Pfleger kein Zwang, sondern „indirekter Druck“

In diesem Zusammenhang verweist das Gericht mit Sitz in Schleswig auf die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes. Demnach hat der Gesetzgeber den Gesundheitsämtern überlassen, ob sie ungeimpften Pflegern, Krankenschwestern und Ärzten das Betreten oder die Arbeit in ihren Einrichtungen untersagt. Dabei handele es sich immer um „Ermessensentscheidungen“.

Dieses Regelungsgefüge spreche dafür, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht „keine unmittelbare, notfalls mit Verwaltungszwang durchsetzbare Impfpflicht, keinen Impfzwang, statuiert“, so das Gericht. Stattdessen solle durch die Androhung von beruflichen Nachteilen für ungeimpfte Mitarbeiter im Gesundheitswesen lediglich ein „indirekter Impfdruck“ erzeugt werden.

Gerichtssprecherin: Beschluss „bundesweit von Bedeutung“

Friederike Lange, Sprecherin des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts, stuft die Entscheidung als weitreichend ein. „Der Beschluss betrifft eine Frage der Auslegung des Bundesrechts und ist insoweit auch bundesweit von Bedeutung“, sagte sie an diesem Mittwoch zu FOCUS Online. Zwar gelte der Beschluss „grundsätzlich nur für den Einzelfall“. Allerdings könnten sich andere Betroffene gegenüber dem Gesundheitsamt „auf die Rechtsprechung berufen“. Wenn die Behörde dennoch nicht einlenke, könnten die Betroffenen „selbst einen Antrag bei Gericht stellen“, so Lange.

Zum konkreten Fall sagte sie: „Die Antragstellerin hat zunächst nur erreicht, dass die angeordnete Vorlage eines Impfnachweises, eines Genesenennachweises oder einer ärztlichen Bescheinigung über eine Impfungsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht durch einen Verwaltungsakt mit anschließendem Verwaltungszwang durchgesetzt werden kann.“ Dennoch müsse die ungeimpfte Zahnarzthelferin mit Sanktionen rechnen. Friederike Lange: „Die Behörden können zwar eine solche Vorlage nun nicht mehr durch Verwaltungsakt anordnen. Ihnen verbleibt jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, gegenüber den Betroffenen ein Betretens- oder Tätigkeitsverbot auszusprechen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen.“

Nur wer Widerspruch einlegt, kann vorerst aufatmen

Die bislang ergangenen Bescheide der Gesundheitsämter sind nach Auffassung der Kammer „rechtswidrig und damit anfechtbar“, betonte die Sprecherin. Zugleich verweist sie darauf, dass nur diejenigen um den sofortigen Vollzug des Bescheids herumkommen, die dagegen Widerspruch einlegen. Zudem muss die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gerichtlich bestätigt werden. „Ansonsten muss der Bescheid von den jeweils Betroffenen im Einzelfall befolgt werden.“

Gegen den Beschluss im Fall der Zahnarzthelferin kann das Gesundheitsamt innerhalb von zwei Wochen Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht in Schleswig einlegen.

Rechtsanwalt: „Keiner muss aktuell Angst vor Bußgeld haben“

Der Dresdner Rechtsanwalt Frank Hannig, über dessen Team die Zahnarzthelferin gegen die Ausgestaltung der einrichtungsbezogenen Impflicht vorgegangen war, spricht von einem „überraschend deutlichen Erfolg“. Hannig zu FOCUS Online: „Der Gerichtsbeschluss bedeutet, dass die Briefe und Bußgeldandrohungen der Gesundheitsämter rechtswidrig sind. Kein Mitarbeiter im Gesundheitswesen muss aktuell Angst vor dem angedrohten Bußgeld haben – zumindest dann nicht, wenn andere Gerichte das genauso sehen.”

In den vergangenen Wochen erhielten deutschlandweit Zehntausende Pfleger, Krankenschwestern, Ärzte, Sanitäter, Hebammen und Behinderten-Betreuer entsprechende Briefe von den Gesundheitsämtern. Mit ihrer Entscheidung gegen eine Covid-19-Impfung verstoßen sie gegen die seit Mitte März 2022 gültige einrichtungsbezogene Impfpflicht, die das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich für rechtens erklärt hat.

https://www.focus.de/politik/deutschland/justiz-hammer-drohbescheide-des-gesundheitsamts-an-ungeimpfte-pfleger-rechtswidrig_id_107967975.html