Am 12.10.2022 fand in Berlin eine Anhörung des Gesundheitsausschusses des deutschen Bundestages statt, nachdem die AFD-Fraktion in zwei Anträgen die Aussetzung der bereichsbezogenen Impfpflicht und eine Aufklärung von Nebenwirkungen der COVID-19 Impfungen gefordert hatte. Gesundheitsexperten verschiedener geladener Verbände beantworteten die Fragen der Ausschussmitglieder zum Sinn einer Fortführung der in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen geltenden Impfpflicht und zur Erfassung möglicher Nebenwirkungen der eingesetzten Impfstoffe.
Der Vertreter der Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung (ÄFI) lehnte die bereichsbezogene Impfpflicht komplett ab. Aufgrund fehlenden Fremdschutzes durch die Impfung entfalle aus seiner Sicht jede Begründung für die Einführung des Gesetzes oder seiner Fortführung.
Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) schloss sich der Ablehnung der bereichsbezogenen Impfpflicht grundsätzlich an, weil aus seiner Sicht ohne eine allgemeine Impflicht die bereichsbezogene Impfpflicht alleine keine schützende Wirkung für vulnerable Gruppen entfalte.
Intensivpfleger Werner Möller, vom Verein Pflege für Aufklärung, hielt die bereichsbezogene Impfpflicht grundsätzlich für unsinnig und rein politisch motiviert. Aus seiner Sicht stelle die dramatische Unterfinanzierung der Pflege in den Krankenhäusern die größte Gefahr für die Patientensicherheit dar, und nicht der Impfstatus des Pflegepersonals.
Zu den Risiken und Nebenwirkungen der Covid-19 Impfstoffe befragt, erklärte der Einzelsachverständige Prof. Dr. Leif Erik Sander, von der Berliner Charité, es sei in der Fachwelt unbestritten, dass die eingesetzten Impfstoffe ein hohes Sicherheitsprofil aufweisen und zur Reduktion der Corona-bedingten Krankheitslast und Fallsterblichkeit geführt haben. Allerdings räumte er ein, dass eine Schutzwirkung der Impfstoffe, insbesondere gegen Infektionen und Übertragung des Virus unvollständig und nur über wenige Monate gegeben sei. Mögliche Gefahren einer Untererfassung von Nebenwirkungen der Covid-19 Impfstoffe durch das passive Meldesystem des Paul Ehrlich Instituts sah er nicht, da Meldesysteme in anderen Ländern ähnliche Raten an Nebenwirkungen aufzeigen würden, wie sie in Deutschland verzeichnet werden.
Von den geladenen Verbänden, von denen eine Stellungnahme zum Sachverhalt erbeten worden war, erschien allerdings gerade einmal gut die Hälfte. Ein bisher beispielloser Vorgang.
Nicht erschienen waren Vertreter der Bundesärztekammer (BÄK), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA) und des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA).
Die kurzfristige Absage von sechs Verbänden kommt der Bundesregierung allerdings nicht ganz ungelegen. Aufgrund früherer Stellungnahmen wäre eine öffentliche kritische Positionierung der meisten dieser Verbände zum aktuellen Regierungskurs zu befürchten gewesen.
So hatte z.B. die Deutsche Krankenhausgesellschaft bereits verkündet, dass aus ihrer Sicht die einrichtungsbezogene Impfpflicht ihre faktische Begründung verloren hat[1]. Und für den Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. erschließt sich laut eigener Stellungnahme nicht, auf welcher Grundlage an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht festgehalten werden kann[2]. Auch eingeladenen Vertretern der Bundeärztekammer wäre es vielleicht schwergefallen zu erklären, warum die Ärztekammer in Thüringen längst die Aussetzung der bereichsbezogenen Impfpflicht fordert[3].
Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind durch ihre Abwesenheit dem Risiko entgangen, befragt zu werden, warum nach ihren Abrechnungszahlen die Ärzte zehnmal mehr Impfnebenwirkungen abgerechnet haben, als überhaupt beim Paul-Ehrlich-Institut gemeldet worden sind[4]. Hierzu wäre auch die Stellungnahme eines Vertreters der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) interessant gewesen, nachdem deren Vorsitzender Wolf-Dieter Ludwig bereits im April 2022 im Fokus-Interview gewarnt hat: „Dass es ein sogenanntes Underreporting gibt, ist schon lange bekannt und deshalb hat die AkdÄ auch immer wieder auf die Wichtigkeit der Pharmakovigilanz, also der Meldung von Nebenwirkungen, hingewiesen. Letztlich ist es ja auch so, dass viele dieser Nebenwirkungen dann im Laufe von Monaten, teilweise auch erst nach einem Jahr deutlich wurden. Die Myokarditis als eine sehr seltene, aber schwere Nebenwirkung ist ja auch erst nach Zulassung der Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 bekannt geworden“[5].
Man hätte sich gewünscht, dass die Verbände ihre klaren Positionierungen in der öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses vorgetragen hätten.
Quelle
Referenzen
[1] „Snapshot“. Zugegriffen: 19. Oktober 2022. [Online]. Verfügbar unter: https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/aussetzen-der-einrichtungsbezogenen-impfpflicht-jetzt-notwendig/
[2] „20_14_0027-2-_Bundesverband-privater-Anbieter-sozialer-Dienste_Einrichtungsbezogene-Impfpflicht-data.pdf“. Zugegriffen: 19. Oktober 2022. [Online]. Verfügbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/891178/2faa387c912277bc3df3d573e975923a/20_14_0027-2-_Bundesverband-privater-Anbieter-sozialer-Dienste_Einrichtungsbezogene-Impfpflicht-data.pdf
[3] „Kammerversammlung der Landesärztekammer Thüringen“, Bundesärztekammer. https://www.bundesaerztekammer.de/presse/aktuelles/detail/kammerversammlung-der-landesaerztekammer-thueringen (zugegriffen 19. Oktober 2022).
[4] TKP „KBV-Papier enthüllt 2,5 Millionen Patienten mit Impfnebenwirkungen in Deutschland im Jahr 2021“, tkp.at, 23. Juni 2022. https://tkp.at/2022/06/23/kbv-papier-enthuellt-25-millionen-patienten-mit-impfnebenwirkungen-in-deutschland-im-jahr-2021/ (zugegriffen 19. Oktober 2022).
[5] Focus. online, „Impfnebenwirkungen? Was Sie tun können, wenn Ihr Arzt Sie nicht ernst nimmt“, FOCUS online. https://www.focus.de/gesundheit/coronavirus/impfnebenwirkungen-was-sie-tun-koennen-wenn-ihr-arzt-sie-nicht-ernstnimmt_id_87753794.html (zugegriffen 19. Oktober 2022).
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der fixen Autoren von TKP wieder.
Dr. rer. nat. Kay Klapproth ist Immunologe und Akademischer Rat an der Medizinischen Fakultät Mannheim, der Universität Heidelberg. Er ist im Bereich der Immunologie seit fast 20 Jahren tätig. Aufgrund der Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen und unseren Grundrechten hat i m Mai 2022 die Universität Heidelberg verlassen, da auch er von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht (Duldungspflicht) betroffen ist.
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