Nahezu unbemerkt rollt eine Prozesswelle durchs Land gegen jenes Klinikpersonal, das die Impfpflicht verweigerte – Protokoll eines Gerichtstages

Erst wurden sie beklatscht, dann sollten sie bestraft werden. Von März bis Dezember 2022 galt für das Personal in Krankenhäusern und Pflegeheimen eine allgemeine Impfpflicht. Zugleich war die Kritik an der Impfkampagne, wie an den neuartigen, aber ungenügend getesteten Stoffen, gerade unter Pflegekräften überdurchschnittlich verbreitet. Bei den massenhaften Corona-Demonstrationen gegen die Impfpflicht im letzten Winter marschierten Pflegekräfte und Klinikpersonal in vorderster Reihe mit. Vielleicht, weil Pfleger, Schwestern und Ärzte beim Einsatz von Medikamenten besonders sensibel sind, vielleicht, weil sie nach den ersten „Corona“-Patienten nun neue vor sich hatten, die nach einer Impfung Symptome bekamen.

Dass ausgerechnet diejenigen, die sich um Erkrankte kümmerten und obendrein auch für ihre geimpften KollegInnen einsprangen, wenn diese krank wurden, gezwungen werden sollten, sich ebenfalls impfen zu lassen – dafür wäre zumindest eine Erklärung angebracht. Durfte die Kampagne gegen die Ungeimpften nicht vor ihnen Halt machen?, weil jeder Ungeimpfte, dadurch dass er gesundblieben ist, den Wert und vor allem die angebliche Alternativlosigkeit der Impfung widerlegte.

Jetzt wird dieses Kapitel der Epidemiegeschichte vor den Gerichten abgehandelt. Die Prozesse dokumentieren, wie sehr das Corona-Regime in die bisherigen rechtsstaatlichen Verhältnisse der BRD eingeschnitten und demokratische Standards geschliffen hat. Behörden, die sich nicht mehr an den Rechtsweg halten, oder ein Bundesverfassungsgericht, das ein verfassungswidriges Gesetz wie das Infektionsschutzgesetz abnickt.

„Die Wirksamkeit des Impfstoffes wird für mich keine Relevanz für die Entscheidung haben“

Amtsgericht Esslingen, 2. Februar 2023. Auf der Tagesordnung stehen sieben Verfahren, sechs wegen Verstoßes gegen die Impfpflicht, eines wegen Teilnahme an einer verbotenen Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen. Zwei weitere Fälle hatte der Richter kurz vorher nach Aktenlage und in Absprache mit der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Um 9 Uhr beginnt der Verhandlungstag. Am Anklagetisch sitzt mit ihrem Anwalt die Krankenpflegerin Denise F. vom Klinikum Esslingen. Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft ist nicht anwesend. Die etwa 20 Zuhörerplätze sind fast alle besetzt.

Der Richter trägt vor: Die Beschuldigte habe bis zum 22. Juni 2022 dem Gesundheitsamt keinen Impf- oder Genesenennachweis vorgelegt. Damit habe sie vorsätzlich gegen das Infektionsschutzgesetz verstoßen. Das Landratsamt Esslingen habe deshalb am 24. August 2022 eine Geldbuße in Höhe von 300 Euro gegen sie verhängt.

Der Anwalt sagt, seine Mandantin habe ein Genesenenzertifikat eingereicht, das nicht akzeptiert wurde und erklärt: „Ich sehe nicht, warum sie hier sitzen muss. 2020 sind recht panisch Impfstoffe hergestellt und von Politik und Pharmaindustrie mit Versprechungen versehen worden. Dann hat man festgestellt, dass es sich um experimentelle Impfstoffe handelt, die nichts nützen. Es gibt Leute, die vier-, fünfmal geimpft wurden und trotzdem erkrankten. Was hat Frau F. falsch gemacht?“

Der Richter entgegnet: „Ich bin nicht hier, um mit Ihnen Impfdiskussionen zu führen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorschrift für rechtmäßig erklärt. Ein großer Teil der Gesellschaft und der Gesetzgeber sehen es anders wie Sie. Ich werde keine Verfassungsdiskussion über die Impfpflicht führen.“

Der Rechtsanwalt: „Die Politik hat uns in die Sackgasse gefahren. Es hieß, es gäbe keine Nebenwirkungen der Impfung, man sei nicht mehr ansteckbar, könne nicht mehr krank werden. Stimmt alles nicht. Muss ich mich potentiell gefährden, um die Gesellschaft zu schützen? Der Rechtsstaat wurde in den letzten drei Jahren auf den Kopf gestellt.“

Der Richter: „Frau F. hat keinen Immunitätsausweis vorgelegt.“

Der Rechtsanwalt: „Aber drei-, viermal nachimpfen zu müssen, ist doch keine Impfung. Ich verstehe nicht, warum Sie so was nicht einstellen. In Baden-Württemberg sind 28.000 Leute im Krankenhauswesen nicht geimpft. Das Gesundheitsministerium hat erklärt, die seien nicht verfolgbar, weil sonst die Versorgung zusammenbricht. Meine Mandantin ist 250-mal ungeimpft zum Dienst gekommen, wird aber nur einmal belangt. Die Bußgeldbescheide sind doch ein Politikum.“

Eine Zuschauerin ruft: „Bravo!“

Der Richter will von der Beschuldigten noch wissen, ob sie ein Betretungsverbot zu ihrem Arbeitsplatz bekommen habe. Sie verneint. Er ruft den Zeugen des Gesundheitsamtes in den Saal. Der ist Arzt und im Gesundheitsamt für Infektionsschutz und Umwelthygiene zuständig und erklärt: „Weil Frau F. den geforderten Immunitätsnachweis nicht vorgelegt hat, habe ich das Verfahren der Bußgeldstelle im Landratsamt übergeben. Die Bußgeldstelle macht dann ein Anhörungsverfahren. Wir vom Gesundheitsamt haben keinen Einfluss auf die Höhe des Bußgeldes.“

Richter: „Warum wurden keine Betretungsverbote ausgesprochen?“

Zeuge des Gesundheitsamtes: „Das war eine Kapazitätsfrage.“

Lautes Lachen und Klatschen im Publikum.

Der Richter verbittet sich solche Reaktionen und ermahnt die Zuhörer: „Sonst müssen Sie rausgehen!“

Der Zeuge führt aus: „In kurzer Zeit haben wir 1027 solcher Fälle gemeldet bekommen. 400 bis 470 haben wir der Bußgeldstelle übergeben. Wir mussten Priorisierungen nach Risikogesichtspunkten vornehmen. Danach sollte in die Anhörung zum Tätigkeitsverbot gegangen werden. Soweit ist es nicht gekommen. Es ist unklar, wie es sich rechtlich weiter entwickelt, ob es noch Sinn macht. Meiner Meinung nach hätte man die Impfpflicht nicht auslaufen lassen sollen. Das war aber nicht nur eine fachliche Entscheidung. Im Dezember 2022 haben wir die Übergabe der Verfahren an die Bußgeldstelle vorläufig eingestellt, weil es Rückstaus gab. Wir hatten eine relativ ausgewogene Regelung, die nicht zwangsläufig zu einem Tätigkeitsverbot führte, sondern erst zu einer Anhörung. Zunächst wurde das als Ordnungswidrigkeit geahndet. Der Begriff ist passend: Es gehört zu einer Ordnung, Maßnahmen zu treffen, um Kranke zu schützen. Es gibt in der Gesellschaft ja noch mehr Ordnungsmaßnahmen.“

Der Rechtsanwalt fragt: „Können Corona-Impfstoffe eine Ansteckung verhindern?“

Zeuge: „Wenn Sie so pauschal fragen: ja. Sonst wären sie gar nicht zugelassen.“

Rechtsanwalt: „Es gibt Leute, die sind drei-, viermal geimpft und haben zwei-, dreimal Corona bekommen.“

Zeuge: „Ich bin auch geimpft und habe Corona bekommen.“

Richter: „Ich bin geimpft und hab’s nicht bekommen.“

Rechtsanwalt: „Gibt es einen Unterschied zwischen dem Corona-Impfstoff und dem Masern-Impfstoff?“

Zeuge: „Ja, bei Masern haben Sie zehn Jahre Ruhe.“

Richter zum Anwalt: „Bleiben Sie bei Ihrem Einzelfall. Ich habe keine Zeit für eine Impfgrundsatz-Debatte. Die Wirksamkeit des Impfstoffes wird für mich keine Relevanz für die Entscheidung haben.“

Die Beschuldigte fragt den Zeugen des Gesundheitsamtes, ob ihr Genesenenstatus nicht eingegangen sei. Der will wissen, wohin sie ihn geschickt habe. Die Krankenpflegerin sagt, an ihren Arbeitgeber. Der Zeuge erklärt, die Verkürzung des Genesenenstatus durch die Politik von sechs auf drei Monate sei noch nicht in der Software ihrer Behörde gewesen. Er wird entlassen und setzt sich ins Publikum.

Der Richter verkündet seine Entscheidung: „Das Verfahren wird nach § 47, Absatz 2, Ordnungswidrigkeitsgesetz eingestellt. Die Kosten trägt die Staatskasse. Begründung: Ihre Schuld, Frau F., ist sehr gering, auf keinen Fall 300 Euro. Der Gesetzgeber ließ das Gesetz ohnehin auslaufen. Über’s Impfen will ich hier nicht reden, das gehört meinetwegen nach Karlsruhe.“

Beifall von den Zuhörern.

Die Verhandlung hat eine Stunde gedauert. Kurze Pause. Der Vertreter des Gesundheitsamtes spricht den Richter auf dem Flur an und redet zu ihm über Impfen und den Nutzen, über die Delta- und die Omikronvariante des Virus und dass man nicht pauschal sagen könne, die Impfung nütze nichts. Der Richter antwortet nichts.

„Im Unrecht gibt es keine Gleichheit“

10:25 Uhr, zweite Sitzung. Beschuldigt ist eine Fachkinderkrankenschwester der Filderklinik bei Stuttgart. Sie sitzt alleine da, weil sie sich keinen Anwalt leisten könne, sagt sie und erklärt: „Ich bin ein sogenannter Impfversager, Impfungen wirken bei mir nicht. Ich habe kein Corona gehabt, habe alles, was vorgegeben war, eingehalten, nur Impfen wollte ich selber entscheiden. Die Klinik hat kein Betretungsverbot ausgesprochen.“

Der Richter erklärt: „Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Vorschrift, einen Immunitätsnachweis vorzulegen, rechtmäßig ist. Ich muss sie anwenden. Der Vorwurf, dass Sie keinen solchen Nachweis vorgelegt haben, ist erfüllt. Ich muss nun Ihre Schuld beurteilen. Die Vorlagepflicht ist ja inzwischen abgeschafft. Meine rechtliche Einschätzung ist, der Gesetzgeber verhält sich inkonsequent: Er verlangt von Ihnen ein Bußgeld und gleichzeitig braucht man Sie und Ihre Arbeitskraft. Ich respektiere, dass Sie ehrlich damit umgehen. Ich kann Sie aber nicht nicht verurteilen.“

Die Beschuldigte: „Aber wie geht das, dass im Landkreis Esslingen Bußgelder verhängt werden, im Landkreis Tübingen nicht?“

Richter: „Sie sind hier im Unrecht. Im Unrecht gibt es keine Gleichheit. Ich kann Sie aber beruhigen: Es wird nicht viel an Strafe geben.“

Beschuldigte: „Ich habe immer mein Bestes gegeben, um die Pandemie in Schach zu halten. Wir mussten ständig von A nach B springen. Jetzt soll ich dafür bezahlen? Sie wissen doch, dass die Impfung keinen Fremdschutz bietet und trotzdem wurde sie durchgeboxt.“

Richter: „Es geht nicht darum, ob die Impfung positiv ist oder nicht. Sondern, dass Sie keinen Impfnachweis vorgelegt haben. Ich sehe keinen Ausnahmegrund, auch wenn ich Sie verstehe.“

Er verurteilt sie wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit zu einer Strafe von 30 Euro. Ihre Schuld sei gering. Die Kosten trage die Staatskasse.

Die Krankenschwester ist froh, dass es vorbei ist, aber nicht glücklich, weil sie verurteilt wurde: „Das fühlt sich nicht gut an.“

„Ich bin angehalten, nach dem Gesetz zu handeln“

 Die Verhandlung hat 20 Minuten gedauert, es folgt die dritte dieses Tages. Betroffen ist eine Krankenschwester in der Unfallchirurgie Nürtingen, 60 Jahre alt und das erste Mal in ihrem Leben mit der Justiz in Berührung gekommen. Sie erscheint mit Rechtsanwalt. Der gibt zu Protokoll: „Meine Mandantin ist kein Corona-Leugner, Querdenker oder gegen Corona-Maßnahmen. Sie kann nur nicht verantworten, dass im Rahmen der Impfung etwas passiert. Sie hat Angst vor Impfschädigungen, beispielsweise Myokarditis. [Herzmuskelentzündung] Gegen die Corona-Maßnahmen hat sie im Prinzip keine Einwände. Der Gesetzgeber ist von seiner eigenen Gesetzeslage nicht überzeugt. Er hat seine Regelungen nicht konsequent vollzogen, weil sich das Virus anders entwickelt hat. Er lässt bei sich Opportunität walten, überzieht aber die Bürger bei Verweigerung mit Strafen. Das ist nicht fair. Wenn der Staat konsequent wäre, müsste er sich die Hände schmutzig machen und die Personen, die sich der Impfpflicht verweigern an einen Stuhl fesseln und impfen.“

Die Betroffene erklärt: „Ich bin immer gesund geblieben und war nicht einmal positiv, obwohl ich im Covid-Bereich gearbeitet habe. Ich bin sowieso nie krank, weil ich ein gutes Immunsystem habe. Ich habe nur Angst vor der Impfung, weil der Impfstoff noch zu frisch ist.“

Der Richter: „Ich kann es kurz halten: Ich kann es nicht besser zusammenfassen wie Ihr Verteidiger. Ich teile seine Auffassung, bin aber angehalten, nach dem Gesetz zu handeln.“

Wieder spricht er eine Geldbuße von 30 Euro aus. Die Beschuldigte nimmt das Urteil an.

„Das Verfahren wird eingestellt!“

 Es folgt Sitzung Nummer vier. Angeklagt ist eine Krankenschwester der Medius-Klinik in Kirchheim/Teck. Ihre Rechtsanwältin argumentiert, das Landratsamt habe eine Geldbuße verhängt, ohne dass zuvor ein Betretungsverbot für ihre Mandantin ausgesprochen worden sei.

Der Richter: „Der Tatbestand ist: keine Vorlage des Impfdokuments.“

Rechtsanwältin: „Der Tatbestand ist erfüllt, wenn man ein Dokument hat und es nicht vorlegt. Aber wenn man keines hat, weil man sich nicht impfen lassen will, kann man es auch nicht vorlegen. Dann muss man doch darauf warten, dass ein Betretungsverbot ausgesprochen wird. Meine Mandantin hat auf dieses Betretungsverbot gewartet. Sie kann doch nicht einfach privat von der Arbeit fernbleiben. Ein Betretungsverbot kam nicht, weil dann die Versorgung zusammengebrochen wäre.“

Richter: „Haben Sie Widerspruch gegen die Nachweispflicht eingelegt?“

Rechtsanwältin: „Ja.“

Der Richter unterbricht die Sitzung für ein paar Minuten und verlässt den Saal. Nachdem er zurück ist, erklärt er: „Wir können die Sache kurz machen. Es ist fraglich, ob die Fristsetzung durch die Behörde überhaupt in Gang gesetzt wurde. Ein Bußgeld soll aber gerade nicht zu einer Handlung zwingen. Wollen Sie einen Freispruch?“

Anwältin: „Es geht auch eine Einstellung.“

Richter: „Dann machen wir es so: Das Verfahren wird eingestellt!“

„Es kann nicht einfach jeder entscheiden, wie er will“

 Die fünfte Beschuldigte an diesem Tag ist eine Sekretärin in der gynäkologischen Ambulanz des Esslinger Krankenhauses, zuständig für die Aufnahme der Patienten.

Sie sagt: „Ich hatte Angst und habe mich deshalb nicht impfen lassen. Einige Kollegen hatten Impfnebenwirkungen. Auch die Dreifach-Geimpften waren immer wieder krank. Ich hatte damit gerechnet, dass ich ein Betretungsverbot bekomme. Aber das kam nicht, deswegen bin ich weiterhin zur Arbeit gegangen.“

Der Richter will wissen, wie ihr Arbeitsplatz aussieht. Sie sagt, sie sitze allein in einem Büro, zwischen ihr und den Patienten gebe es eine Glaswand. Der Richter befindet, dann sei sie eine Ausnahme und falle nicht unter die Regelung. Er stellt das Verfahren ein, ohne ein Bußgeld zu verhängen und sagt zu der Frau: „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!“

Zum sechsten Fall ist eine Vertreterin des Landratsamtes erschienen. Frau Kr. arbeitet in der Bußgeldstelle der Behörde und hat am 9. Oktober 2022 an die Krankenschwester Tamara K. den Bescheid in Höhe von 300 Euro verschickt.

Die Angeklagte drängt es, sich äußern zu wollen: „Die mRNA-Stoffe wurden an Tieren getestet. Welche wurden danach krank, manche sind gestorben. Dass die mRNA-Stoffe im menschlichen Körper schädliche Wirkungen haben können, wird bei der Impfung nicht erklärt. Teilweise gab es sehr schwere Folgen. Deshalb habe ich mich gegen die Impfung entschieden. Ich kann keine medizinische Behandlung gegen meinen Willen zulassen. Ich sehe auch den medizinischen Grund der Impfung nicht.“

Richter: „Wurde kein Betretungsverbot ausgesprochen?“

Beschuldigte: „Nein.“

Richter zur Vertreterin des Landratsamtes: „Wie kam man auf die 300 Euro?“

Frau Kr.: „War eine Empfehlung des Regierungspräsidiums. 300 bis 500 Euro.“

Rechtsanwalt der Beschuldigten: „Meine Mandantin ist ein Mensch, der im Gesundheitswesen seinen Dienst verrichtet. Wir verstehen nicht, warum sie hier sitzt. Die Allgemeinheit will die Wahrheiten über diese Impfung nicht hören. Die Pharmaindustrie hat den Begriff Impfung gekapert. Es kann zu Überreaktionen im Organismus kommen. Wir wissen nicht, was in ein, zwei Jahren ist. Frau K. will sich nicht schädigen. Das kann man ihr nicht zum Vorwurf machen. Ich beantrage Freispruch.“

Frau Kr. vom Landratsamt: „Ihre Argumentation kann ich verstehen. Aber wir leben in einem Rechtsstaat. Die Regierungen haben die Regelungen diskutiert und dann beschlossen. Daran muss man sich halten. Es kann nicht einfach jeder entscheiden, wie er will. Ich beantrage, das Bußgeld in dieser Höhe zu bestätigen.“

Richter zur Beschuldigten: „Sie haben das letzte Wort. Wollen Sie?“

Beschuldigte: „Ja. Regeln sind wichtig, aber sie müssen sinnvoll sein. Die Testung der Impfstoffe war ungenügend. Es war eine experimentelle Impfung. Ich bin kein grundsätzlicher Impfgegner, ich bleibe mit Herz Krankenschwester. Die geimpften Kollegen, drei-, vierfach, sind so oft krank.“

Der Richter verhängt wieder 30 Euro Geldbuße und wünscht der Verurteilten noch eine schöne Woche.

„Die Kosten trägt die Staatskasse“

 Um 16 Uhr 15 wird im Saal 2 des Amtsgerichtes der letzte Fall dieses Tages aufgerufen. Angeklagt ist eine Pflegerin, 64 Jahre alt, die ehrenamtlich in einem Pflegeheim Demenzpatienten betreute. Als im März 2022 die Impfpflicht auch für sie kam, blieb sie der Arbeit fern. In der Stadt war es seit Dezember 2021, wie im ganzen Land, ebenfalls zu Montagsspaziergängen gegen die Corona-Maßnahmen und die geplante Impfpflicht gekommen. In der Spitze spazierten 600 Leute durch die Gassen der Altstadt.

Am 30. Januar 2022 erließ das Ordnungsamt der Stadt eine sogenannte Allgemeinverfügung, nach der bis zum 28. Februar, vier Wochen lang, die Versammlungsfreiheit nicht galt. Darunter fielen auch Spaziergänge. Am Montag, 31. Januar 2022, kamen noch etwa 100 Menschen zum Rathausplatz und zogen dann los. Die Angeklagte hatte sich mit mehreren Kolleginnen verabredet, die gemeinsam durch die Innenstadt schlenderten. Um 18 Uhr 11, so protokollierte es die Polizei, wurde sie angehalten und ihre Personalien aufgenommen. Die Polizei hatte sie ab 18 Uhr auf dem Rathausplatz fixiert. Ihr wurde vorgeworfen, an einer öffentlichen Versammlung teilgenommen zu haben, obwohl die Durchführung untersagt gewesen sei. Die Stadtverwaltung erlegte ihr eine Geldbuße in Höhe von 250 Euro auf. Dagegen legte sie Einspruch ein.

Der Richter liest aus der Allgemeinverfügung vor: „Untersagt werden innerhalb des als Anlage beigefügten Planausschnitts alle nicht angezeigten und nicht behördlich bestätigten Versammlungen mit generellen Aufrufen zu ‚Montagsspaziergängen‘ oder ‚Spaziergängen‘ oder ähnlichen Versammlungen unabhängig vom Wochentag, die sich gegen die Regelungen der Corona-Verordnung richten. Der beigefügte Plan ist Bestandteil dieser Verfügung. Die Allgemeinverfügung tritt, soweit sie nicht zuvor aufgehoben wird, am 28.2.2022 außer Kraft. Die Verfügung wurde in der Esslinger Zeitung veröffentlicht und gilt damit als bekannt gegeben.“

Der Anwalt der Beschuldigten erklärt: „Meine Mandantin hat an keiner Versammlung teilgenommen, sondern ihr Recht wahrgenommen, durch ihre Stadt zu laufen, zu bummeln sozusagen.“

Der Richter erklärt zunächst, er sei auch der Auffassung, dass Bummeln „ok“ sei. Dann wendet er sich der Allgemeinverfügung der Stadt Esslingen zu und befindet: „Verordnungen sind so zu formulieren, dass sie für die Bürger zu verstehen sind. Je einschneidender eine Verordnung ist, desto bestimmter und klarer muss sie gehalten sein. Das ergibt sich aus dem Bestimmtheitsgebot, Artikel 103 des Grundgesetzes. Die Allgemeinverfügung der Stadt Esslingen war nicht verstehbar und damit nicht rechtmäßig. Der Tatvorwurf ist nicht erfüllt. Wollen Sie noch etwas sagen?“

Die Beschuldigte: „Ich habe nichts mehr dazu zu sagen.“

Richter: „Bitte erheben Sie sich. Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Sie werden freigesprochen. Die Kosten trägt die Staatskasse.“

Es ist 16 Uhr 20, die Verhandlung hat ganze fünf Minuten in Anspruch genommen.

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